"Gimmi more fire, ma selecta!"
Jamaika lässt
grüßen: Mit Raggalution etabliert sich Soundsystem-Kultur in Trier
Nikitaman ächzt.
Nikitaman zischt. Nikitaman schimpft. Gegen dumpfe Deutschtümelei,
gegen doppelmoralische Drogenpolitik, gegen borniertes Spießertum.
Das gefällt dem Publikum noch mehr gefällt ihm, wie all das
daherkommt: rhythmische Reggaeklänge, gepaart peitschenden Beats des
Kölner Universal Fire Soundsystems, dazu die unglaubliche Dynamik
des Frontmans aus Düsseldorf (jawohl, es geht doch zusammen!).
Der Auftritt dieser Künstler sicherlich der Höhepunkt der Party.
Doch auch die anderen Akteure bei der 4. Raggalution am 17. November
bringen die etwa 400 Besucher im Ex Haus in Tanzstimmung. Natürlich
zuvorderst Nikitamans kongeniale Kollegen Natty Flo und Nosliw, die
mit etwas ruhigern Rhythmen und lyrischen Liebestexten, die Zuhörer
zu Begeisterung hinreißen. Mit dem energiegeladenen Auftritt der
Österreicherin Mona gab es außerdem zum ersten Mal eine weibliche
Reggae-Stimme in Trier zu bewundern.
Aber auch die
davor auftretenden Soundsystems Wadada aus Koblenz. Crossfire aus
Luxemburg sowie die Trierer Lokalmatadoren und Veranstalter Treva
Massive Zounds zeigten, dass sie ihr Geschäft verstehen. Und das
besteht beim Dancehall-Reggae vor allem darin, eine gelungene
Mischung aus dem Livegesang und den von den DJs eingespielten und
Mit Samples versetzten Instrumentalstücken (im Fachjargon "Riddims")
zu erreichen. Beliebte Stillmitell sind dabei "Rewinds", d. h das
mehrmalige Neuanspielen eines Titels bis das Publikum in der
richtigen Stimmung ist und das Einsetzen von "Dub Plates", speziell
für ein Soundsystem von anderen Künstlern aufgenommene Songs.
Man merkt: Dancehall hat auch etwas mit Selbstdarstellung zutun. Es gibt
komplizierte Begrüßungsrituale sowie eine Sprechweise, die dem
Pidgin-Englischafroamerikanischer Einwanderer ähnelt. Lässt MC (oder
Sänger) etwa verlauten "Gimme more fire, ma selecta", so heißt das,
dass der DJ einen schnelleren Beat auflegen soll. Das ist alles ein
Teil der Show und die Trierer genießen sie sichtlich. Fast niemand
im Raum steht einfach so herum; nein, es wird getanzt, dass die
Dreadlocks fliegen (sofern vorhanden).
Die Renaissance
des Reggae und seiner verschiedenen Stillrichtungen wie Dancehall,
Ragga oder Dub ist in ganz Deutschland zu beobachten. Seeed und Jan
Delay vermelden große Charts-Erfolge, das Summer Jam in Köln - Mekka
aller "Iries", wie der Räggae-Anhänger sich selbst nennen-wächst von
Jahr zu Jahr und auch in Trier etabliert sich eine kleine aber feine
Szene. Dafür verantwortlich vor allem die Jungs des Treva Massive
Zounds (siehe nebestehenden Bericht).
Übrigen zeigt
die Party auch, dass Spaß und Politik nicht zwangsläufig Gegenpole
bilden müssen. Amnesty International macht an seinem Stand im
Kellergewölbe deutlich, dass Jamaika mitnichten nur ein
sonnendurchflutetes Kifferparadies, sondern auch ein repressiver
Polizeistaat ist. Nicht wenige Besucher zeigen sich betroffen über
die rigorose Verfolgung Homosexueller oder die Folterung in
Gefängnissen. Vielleicht wird Nikitaman auch dagegen bald
schimpfen.
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